Oktober, Teil 2

Nagoya III

Freitag, den 19.10. habe ich mir mal einen halben Tag frei genommen, und wir sind mal wieder zu Anja und Thimo nach Nagoya gefahren.

Dieses mal aber mit dem eigenen Auto, weil die Wettervorhersage ganz gut war (Cabrio-Wetter), das ganze von Haustür zu Haustür planmässig nicht soooviel länger dauert, gut 10.000 YEN billiger ist, und ausserdem überhaupt mal sein musste.

Als ich meinen Kollegen von dieser Absicht erzählt, kamen dann mal wieder die üblichen fragenden Blicke und besorgten Äusserungen:

"Peter, can you drive it?", "Is it not too dangerous?", "Do you know they way?", "Do you know how to use Expressway?" und so weiter und so fort.

Ich bin damit wieder mal an dem Punkt angelangt, wo ich mich frage, für wie doof und lebensuntauglich die Japaner einen manchmal halten, und wie selbstverständlich wir unsere Japaner in Trier mit dem wahren Leben konfrontieren. Das die Kollegen immer noch fragen, ob ich denn auch die Metro benutzen kann, ob ich was zu Essen finden kann, ob Maren sich zurecht finden, daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt, aber dieses Autothema ist immer wieder ein besonderes.

Nun ja, wenn man mal in Japan mit dem Auto gefahren ist, dann kann man nachvollziehen, dass es etwas besonderes ist, aber dennoch – ich komme aus einem Land, wo es keine (generelle) Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn gibt, was ich auch immer wieder zu schätzen weiss, ich bin in Deutschland pro Jahr mehr Kilometer gefahren, als die meisten Japaner in ihrem ganzen Leben, und das bei Hitze, Regen, Sturm und Schnee. Ausserdem habe ich ein Auto in Schweden, Belgien, Deutschland, Luxemburg, Holland, Frankreich, Schweiz, Spanien, USA und UK bewegt – unfallfrei! Was also, bitte, soll mich noch schocken?

Nun ja, vielleicht die Schilder, die nicht vor Wildwechsel, sondern vor Affen warnen?! Oder der Fahrstil der Mitjapaner? Der ist wirklich kritikwürdig – chaotisch und egostisch wie bei den Franzosen, lahm wie bei den Schweizer, und manchmal sogar anarchistisch wie dem Italienern:

Kreuzung zustellen und einfach kreuz und quer die Spurwechseln, wie die Franzen, in der Stadt im Schrittempo und meisten zwischen 80 und 100 wie in der Schweiz, aber bei "schwachsinnigen" Tempolimits wie 50 auf der Autobahn (Sonne, alles frei) wird dann konsequent 120 gefahren, und die Laster hupen einen dann boese Weg, wann man sich mit 70 so halbwegs an die vorgeschriebenen 50 hält. Also, in summa, gibt es wohl kaum ein schlechteres Autofahrvolk in der Ersten Welt (Schwellenländer und Dritte Welt kann man hier aussen vor lassen).

Wie auch immer, Freitag das Fahren hat gut geklappt, 4 Stunden und wir waren da, trotz strömendem Regen in der zweiten Hälfte.

Samstag haben wir mit Anja, Thimo, Ole und Mats einen Ausflug zum Tokugawa Garten und Museum gemacht. Ein sehr lohnender Ausflug, auch wenn der Park nicht riesengross ist, so ist er doch einer der schönsten Stadtparks, die ich kenne. Vor allem, die freundlichen Kois, die sich im sauberen Teichwasser tummeln sind zu erwähnen. In das Wasser gesteckte Finger werden sanft genuckelt und streicheln lassen sich die Fische auch. Das kann man wohl kaum artgerechtes Verhalten nennen, ist aber sehr nett, und den Fischen scheint es auch zu gefallen.

Im Museum gibt es einige sehr schöne Exponate aus der höfischen Zeit, sowie eine Abteilung mit Kalligraphie und Gedichten, die man aber leider nicht lesen kann, zumindest nicht ohne profunde Japanisch-Kenntnisse.

Samstag abend waren wir mit zu einem Kindergeburtstag in der Nachbarschaft eingeladen. Der kleine Nowak (komischer Name, aber naja) hatte seinen ersten Geburtstag. Die anderen Gäste (ausser uns 4+2 Deutschen) waren Amerikaner, wie die Gastgeber, dementsprechend gab es ordentlich Hamburger und Hotdogs vom Grill. Die geführten Gespräche waren insgesamt sehr aufschlussreich, wenn auch mit unter recht "schockierend" – z.B. ist es normal, einen gefrorenen 20-Pfund-Truthahn und einen 10-Pfund-Schinken im Gepäck aus den Staaten mitzubringen?

Der Oberhammer war dann aber das Geschenkemassaker. "Eigentlich" sollte ja nix mitgebracht werden, aber das ist ja nur "eigentlich". De facto türmten sich im Wohnzimmer der Gastgeber etwa 15 Pakete, die insgesamt vom Volumen her einen Van gefüllt hätten (ich übertreibe NICHT!) und der kleine Nowak in dem Haufen. Da er zu klein zum Auspacken war, durfte dann Ole alles auspacken, was er auch mit grosser Leidenschaft getan hat.

Alles ausgepackte wurde dann von einer Tante des Kindes mit Nennung des Namens der Schenken und Artikelbeschreibung laut ausgerufen und dann von Nowaks Mutter aufgeschrieben (gut, dass kann man machen, wenn man nachher Dankeskarten schreiben will, aber ich fand es trotzdem mehr als "strange").

Was dann zu Tage kam war alles Plastikspielzeug, gerne auch mit Blinkzeug und Geräuschen dabei, ich kriege das alles garnicht mehr zusammen. Mir sind nur noch "my first Thomas riding fun" (eine Art Plastikdreirad, mit einer kleinen Eisenbahn am Lenker) , "plane riding fun" (gelbes Vierrad mit Flügel, Propeller, Sound und Blinkzeug) und die Affentaschenlampe mit Affenschreigeräusch in Erinnerung.

Während der Auspackens habe ich mich gefragt, wie wohl die Reaktion auf Holzspielzeug wäre, als just in dem Moment Ole "unser" (naja, Anjas & Thimos) Geschenk auspackte – HOLZBAUKLÖTZE! Kurzes Wundern – und dann weiter auspacken. Ich glaube, man war irritiert.

Der kleine Nowak sah zwischen dem ganzen Kram etwas verloren aus.

Insgesamt also ein sehr aufschlussreicher Abend, und die Erkenntnis, dass in USA zu leben zumindest schwierig ist – vielleicht sogar unmöglich. Gut, es kann sein, dass es auch etwas anderes ist, in einer grossen Stadt zu leben, denn die meisten Gäste kamen aus der "Provinz", aber ich denke, da brauche ich mir keine weiteren Gedanken machen.

Sonntag nach dem Frühstück haben wir uns dann von unseren Gastgebern verabschiedet und haben uns in Nagoya noch das Schloss angesehen, auch sehr nett. Bei Bombenwetter haben wir uns gut die Sonne auf den Pelz scheinen lassen.

Die Rückfahrt hielt dann leider einen recht langen Stau für uns bereit, der aber auch wieder was lehrreiches hatte. Wir haben für die Staustrecke (etwa 25 km) gut 60 Minuten gebracht, und dann war der Stau so spontan weg, wie er gekommen war. Am Stauende gab es einen Rastplatz, den natürlich alle besuchen mussten, weil die Natur nach langer Stauzeit ja auch ihr recht verlangt. Dementsprechend wimmelte es auf dem Rastplatz. Zum Rastplatz gehört bemerkenswerterweise auch eine Riesen Shopping und Fress-Mall, so dass man den Eindruck gewinnen kann, dass es hier entweder öfters einen Stau gibt, und die Rastanlage sich deswegen lohnt, oder der Mall-Besitzer sorgt für Stau, damit es sich lohnt.

Fliegende Elephanten

Wie lässt ein Japaner einen Elephanten fliegen? Er nimmt eine Mücke, und blässt sie auf….

So, oder so ähnlich kann man wohl die Umstandskrämerei bezeichnen, die den in Japan ansässigen Westler das eine oder andere Mal nervt und auch manchmal zur Weisglut treibt. Im allgemeinen ist "mal eben schnell" nicht drin, und wenn es einfach ist, dann wird ein Weg gefunden, wie man es kompliziert machen kann.

Drei einfache und aktuelle Beispiele, direkt aus dem Leben gegriffen:

Erstes Beispiel kann jeder erleben, der bei "Espace Burdigala", dem Bäcker bei uns im Haus, ein Brot kauft, und es geschnitten haben möchte. Japaner lieben dickgeschnittenes Brot (wir reden hier von 20-25 mm Scheibendicke), wir aber, mögen es gerne wie zu Hause, d.h. mit etwa 10 mm knapp fingerdick. Beim Bäcker in Deutschland haben sie Angaben wie "dünn", "dick", "nicht so dick" oder "auf Stufe 3" bewährt, und das Resultat ist immer gut. In Japan habe ich es erstmal mit "like my finger" probiert, und der Verkäuferin meinen Finger gezeigt, die dann mit ihren Fingerchen massgenommen hat, und ganz passable Scheiben produziert hat. Das ging auch ein paar mal gut, aber inzwischen will die Gute wissen, wieviele Scheiben sie schneiden soll, das einfache und bewährte Fingermass will sie nicht mehr. Also sage ich ihr "gurai ju-ni-mai", etwa 12 Scheiben (man beachte: ETWA!), und dann nimmt fast jeden zweiten Abend die Katastrophe ihren Lauf. Mit dem Pain Toscana wackelt sie dann zur Schneidemaschine, macht die ersten zwei oder drei Scheiben, verstellt dann die Schnittbreite, wieder ein paar Scheiben, wieder verstellen und dann wird das geschnittene Brot weggeworfen, weil es eben nicht exakt 12 Scheiben geworden sind, sondern vielleicht 11 oder 13. Das Spiel wiederholt sich dann häufig ein bis zweimal, solange noch weitere Brote da sind. Meine Beteuerungen, dass auch 11 oder 13 Scheiben "ok desu" sind, gelten nicht, es sei denn es ist kein weiteres Brot zum Verschneiden mehr da, dann bekommt man das Nicht-Zwölfscheibenbrot unter tausend Entschuldigungen doch ausgehändigt. Herrje, was für eine Verschwendung von Zeit und Resourcen, aber, Perfektion, oder zumindest der Versuch dazu ist denen nicht auszutreiben (diese Thema wird übrigens im Anhang des von uns sehr geschätzten Point-and-speak-Wörterbuchs sehr nett beschrieben: Egal wie hoffnungslos und konzeptlos alles es ist, "Japanese will try hard", weil der Versuch alleine schon Ehrenrettung ist, aber dazu später mehr).

Das zweite aktuelle Beispiel hängt mit Spesenabrechnungen und Dienstreisen zusammen. Die japanischen Kollegen machen ihre Abrechnungen irgendwie online (klaro, in einem vollständig japanischen Tool), wir Langnase haben irgendwelche obskuren Excelformulare. A-san von HR gab mir am Anfang ein paar Formulare mit Beispielen aus 2005 von einer ganz anderen Abteilung und meinte, "mach da dat aktuelle Datum rein, trag Deine Sachen ein und joot es.". Gesagt, getan. B-san, der dann die meine Abrechnung genehmigen sollte, wollte dann wissen, was die ganzen Nummer und Kostenstellen auf dem Zettel zu bedeuten haben (eine nicht unberechtigte Frage). Ich habe dann B-san erklärt, dass A-san meinte, "is' eh wurscht, wird alles an JTI gecrosscharged", aber B-san hat mich gebeten, A-san nochmal zu fragen. A-san blieb bei seiner Äusserung ("wurscht"), worauf dann B-san C-san fragte, ob er die korrekten Nummern rausfinden könne. Konnte C-san natürlich nicht, so dass D-san und E-san, befragt wurden, die dann F-san um Erlaubnis fragen mussten, ob sie sich damit beschätigen durften. Nach 2 Stunden hin und her für einen Abrechnung von 980 YEN, gab C-san B-san die Empfehlung, einfach alle Kostenstellen etc,. zu löschen und das Formular leer zu verwenden – sehr sinnig. Gesagt, getan, mal sehen, ob A-san mir das Geld erstattet.

Fall drei – Online / Phone Banking bei Citibank:

Ich habe bei Citibank Japan online und Telefonbanking. Tolle Wurst, ne? Nicht wirklich, denn ein TAN-system wie in Deutschland ist hier unbekannt. Wenn ich etwas überweise will, dann muss ich erstmal ein Formular runterladen, ausfüllen, in einen selbstzubastelnden Umschlag packen und an Citibank senden, damit das Empfängerkonten für onlinebanking "freigeschaltet" wird – bescheuert, ne? Und wehe, der Name des Empfänger hat auch nur eine Minimale Abweichung von was auch immer – das ist einfach kacke!

Das soweit zu den aktuellen Beispielen.

Wie angedroht, jetzt noch ein historisches Ereignis aus dem Jahr 2004 zum Thema "Japanese try hard":

Annodazumal war mir an meiner "guten" Sonnenbrille (ich habe sie immer noch, und sie brauch auch mal wieder eine Reparatur, aber Qualität zahlt sich aus) eines von den Nasenpolstern abgebrochen. Auf der Ginza habe ich seinerzeit keine Optiker gefunden, so dass ich zu einem kleinen Laden hier in der Nähe der Firma gegangen bin. Beim Reinkommen konnte man schon den Muff von 50 Jahren Firmentradition riechen, und die ausgestellten Brillenmodelle waren so a la Erich Honecker. Der Inhaber, ein man von bestimmt 70 oder 80 Jahren trug auch so ein Model. Erstaunlicherweise hatte er schnell verstanden, was ich denn wollte, lies sich aber von meinen Hinweisen, dass da noch ein kleines Stück Plastik in der Fassung hängt, nicht beindrucken und wühlte in einer Schublade mit Nasenpolstern, bis er eines gefunden hatte, was im passend erschien. Nun ja, die Original Polster sind transparent, seines war so eiterfarben, aber, gut, es sollte ja ein Provisorium sein. Wegen des Plastikstückchens in der Halterung bekam er das Polster natürich nicht rein, wollte aber sich nicht sagen lassen, dass da noch was drin ist. Er hat dann mit einer Feile immer wieder an der Öse des Polsters rumgemurkst, in der Hoffnung, dass es dann doch noch in die Fassung geht (kann ja nicht, weil ja noch was drin ist!). Nach 20 Minuten gebrassel hatte er dann seinen Geistesblitz! Zweikomponentenkleber! Da habe ich ihm dann schnell die Brille wieder abgenommen und das Weite gesucht, denn das eiterfarbene Polster wollte ich dann doch nicht auf alle Ewigkeiten an meine Brille geklebt haben.

Man kann daraus lernen, dass der Versuch einer Lösung wohl wirklich das wichtigste ist, hauptsache irgendeine Lösung, egal wie schwachsinning das ganze auch sein mag.

Ich habe es dann daheim mit einer Nadel geschafft, das Plastikstück rauszufriemeln, und dann mit einem kleinen Stück Nylongarn das eiterfarbenen Polster festgebunden und das überstehende Garn mit dem Feuerzeug abgeflämmt – das ist Deutsche Ingenieurskunst.

Nun, ich denke mal, das wird es für den Oktober gewesen sein.